Donnerstag, 8. April 2010

Im Minirock für Minderheiten kämpfen - Freizügige Kleidung tragen junge Inderinnen nur im Hotel



Madras. Ihre Nachbarn sagen, Shiva sei ein Scandal-Girl. Shiva, Mitte zwanzig, hat vier Jahre in Chicago studiert und lebt nun wieder in ihrer Heimatstadt Madras. 

Wir lernen uns bei einer Lesung für feministische Litaratur kennen. Shiva ist alles andere als ein Skandal-Girl. Im Gegenteil: Sie arbeitet für eine kleine non-profit Organisation, die für die Rechte von Lesben und Schwulen eintritt. Sie trägt ein süßes hautenges Minikleid und superchice Highheels ("I've got them in Australia").

Shiva liebt ihren Job und redet wie ein kleiner Wasserfall über die Probleme, die homosexuelle Frauen und Männer in Indien haben. Nur 3000 Psychotherapeuten und Psychiater gebe es in ganz Indien und gerade diese Randgruppen hätten doch massive Probleme.

Ihre Nachbarn, so berichtet sie, machen keinen Hehl daraus, dass sie ihr Verhalten skandalös finden. Wahrscheinlich meinen sie damit vor allem ihre Kleidung. Im täglichen Straßenbild von Chennai, wie Madras seit 1996 wieder genannt wird, tragen die meisten Frauen Sari oder Tunika. Mit einer kleinen modernen Neuerung: Viele bevorzugen statt der Pluderhosen moderne Leggings oder Jeans. Aber in den großen Hotels wie The Park, Sheraton Park oder Taj Coromandel sieht man am Wochenende junge Inderinnen in superkurzen Miniröcken und ultrahohen Sandalen - manche noch etwas unsicher stöckelnd - die Bar betreten.

Natürliches Selbstbewußtsein

Ebenso wie diese jungen Frauen scheint Shiva mit ihrem hübschen Jungmädchengesicht ein ganz natürliches Selbstbewußtsein auszustrahlen, auch wenn da noch eine Menge Unsicherheit durchstrahlt. Ebenso wie sie ist Shiva eine Ausnahme, auch in einer Großstadt wie Madras. Nicht zuletzt kann sie sich so freizügig geben, weil sie die Unterstützung ihrer Mutter hat. Eine attraktive Anfang-fünfzigerin, die eine Tunika trägt, aber in einer stylischen Version mit weitem Auschnitt. Sie färbt ihre halblangen Haare nicht gefärbt wie die die meisten Inderinnen, sondern selbstbewußt mit grauen Strähnen.

Beim Essen in The Park, der hippsten Adresse in Chennai, fühlen sich beide wie zu Hause.
Shiva erzählt, dass das Schwulsein häufig geleugnet werde, die Menschen dadurch in echte Konflike gerieten. Vor einem Jahr sei das Gesetz abgeschaft worden, dass Homosexualität strafbar ist, aber die Vorurteile seien damit nicht verschwunden.

Auch bei modernen Inderinnen sitzt die Tradition noch tief


"Meine ehemaligen Klassenkameradinnen interessieren sich überhaupt nicht für solche Themen. Ich habe auch keinen Kontakt mehr zu ihnen." Die meisten hätten schon früh geheiratet, seien nun ganz die traditionelle indische Ehefrau. Trotzdem scheint Shiva irgendwie zu bedauern, dass sie den Anschluss zu ihnen verloren hat. Als ich sie frage, wann sie heiraten wird, kichert sie, wird von der aufgeklärten jungen Frau zum indischen Girlie und nuschelt irgendwas wie "never". Ob sie einen Freund hat, traue ich mich dann zu fragen. Und das war dann doch etwas zu viel. "Ja, irgendwie, vielleicht", spricht sie ganz leise und neigt den Kopf verlegen und ein wenig kokett zur Seite. Dass eine Frau in Indien vor der Heirat eigentlich nicht zugeben darf, dass sie einen Freund hat, sitzt noch ganz tief drin, selbst bei Shiva, die so furchtlos für die Rechte der Schwulen eintritt.

Text: Senya Müller